Offener Brief
21. März 2021 | Allgemein

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,
sehr geehrte Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Volker Bouffier,
als ein Anbieter für gesundheitsorientiertes Kraft- und Ausdauertraining ist es mir ein besonderes Bedürfnis, Ihnen einen Einblick in unsere Branche zu geben. Die Sport- und Fitnessbranche ist eine Gesundheitsbranche. Natürlich gibt es viele Menschen, die aus Spaß und Freizeitvergnügen unsere Einrichtungen besuchen. Ein Teil unserer Mitglieder sind aber Menschen, die gesundheitlichen Problemen und Erkrankungen frühzeitig aktiv vorbeugen möchten. Die meisten unserer Mitglieder kommen jedoch aufgrund bereits bestehender Erkrankungen, Verletzungen, sind teilweise akute Schmerzpatienten und erleiden bereits starke Einschränkungen Ihrer Lebensqualität. Diese beiden Gruppen haben erkannt, dass ihre Probleme nicht durch Pillen gelöst werden können, sondern ihnen nur durch Eigeninitiative geholfen werden kann.
Die meisten Unternehmer der Sport- und Fitnessbranche sind private Anbieter. Das bedeutet, dass unsere Leistungen nicht über Ärzte und Krankenkassen abgerechnet werden. Unsere Mitglieder sind Selbstzahler und belasten damit nicht das Gesundheitssystem. Das Gegenteil ist der Fall. Durch ihre Eigeninitiative wird das Gesundheitssystem sowohl mittel- als auch langfristig entlastet. In „guten“ Zeiten war das manchem aus der Gesetzgebung auch schon bewusst. Nicht umsonst wurden Initiativen des Gesundheitsministeriums durchgeführt, die zur Prävention aufgerufen haben. Dieses einzig wirksame Konzept der Gesundheitserhaltung scheint in Corona-Zeiten vergessen worden zu sein. Plötzlich zählen weder die Menschen noch die Unternehmen dahinter, die die Bevölkerung in Ihrem Bestreben unterstützen.
Die komplette Sport- und Gesundheitsbranche wurde im Lockdown mit der Begründung und Schlussfolgerung geschlossen, dass Bewegung ein Freizeit-, Spaß- und Unterhaltungsprogramm sei. Mit dieser Einschätzung liegen Sie, meine Damen und Herren, jedoch völlig falsch. Zwei Drittel unserer Mitglieder kommen nicht für Fit, Fun and Beauty. Selbst wenn Sie es täten, ist der Effekt ihres Trainings und das Resultat ihres Vergnügens dennoch die Erhaltung ihrer körperlichen Gesundheit. Es ist unerklärlich, dass dies von staatlicher Seite untersagt wird. Mit Ihren Schließungsmaßnahmen schaffen Sie letztendlich noch mehr Risikopatienten und damit Opfer dieser Pandemie. Im Gegenteil müsste eine verantwortungsvolle Regierung die Menschen aufrufen alles dafür zu tun, um Risiken zu vermeiden. Dazu gehört ganz essentiell die Bewegung sowie der Aufbau von Muskelkraft, um unter anderem Übergewicht zu vermeiden bzw. abzubauen. Bewegungsmangel und Übergewicht sind Verursacher Nummer Eins von Diabetes Typ 2, Herz- Kreislauferkrankungen, Krebs, Bluthochdruck oder erhöhten Blutfettwerten. Forscher aus Cambridge haben festgestellt, dass Bewegungsmangel sogar noch tödlicher ist als Übergewicht. Wo ist der Aufruf der Regierung an die Menschen aktiv zu werden? Das Gegenteil ist der Fall: in Ihrer Videokampagne beschwören Sie das „Rumschimmeln“ und Junk Food essen als Allheilmittel. In Wirklichkeit fördern Sie mit diesen Maßnahmen die Anzahl der Opfer der Pandemie sowohl in der Gegenwart als auch in der Zukunft. Jetzt müssen die Menschen, um dem Virus zu trotzen, aktiv werden! Je stärker der Körper und sein Immunsystem, desto besser kann er sich gegen einen Angriff auf ihn wehren.
Das oft genannte Argument “man kann ja joggen gehen oder zu Hause was machen“ greift leider zu kurz, denn: Nicht jeder ist in der Lage, joggen zu gehen. Auch Übungen zu Hause können die geführten
Bewegungen an Geräten nicht ersetzen, da bei freien Übungen ohne Hilfestellung zu viele Fehler passieren können, die sich im Gegenteil sogar kontraproduktiv auswirken. Einem gesunden Menschen
schadet dies nicht. Bei Menschen mit gesundheitlicher Vorgeschichte kann das jedoch negative Folgen haben.
Unsere Branche in die Spaß- und Freizeitecke zu stellen ist ein fataler Ansatz und gehört dringend überdacht. Zu manifestiert scheint noch immer das Bild der Muckibuden vergangener Jahrzehnte. Zu wenig bekannt und anerkannt der positive Nutzen eines gut durchdachten und begleiteten Trainings.
Wir in Hessen und unsere Kollegen in Schleswig-Holstein dürfen seit dem 10. März in reduzierter Form wieder öffnen. Die viereinhalb Monate Schließung haben bereits sichtliche Spuren bei der Bevölkerung hinterlassen: Mehr Körperfett, ein drastischer Abbau der Muskeln insbesondere bei den Älteren, mehr Schmerzen, weniger Beweglichkeit, mehr Frust und Leid, weniger Körpergefühl und Koordination lassen sich bei fast allen Mitgliedern feststellen.
Deshalb appelliere ich dringend an Sie umzudenken: Öffnen Sie die Sport- und Gesundheitsbranche, wo noch nicht offen ist und geben Sie ihr den Stellenwert, den sie wirklich verdient. Erwägen Sie noch nicht einmal ansatzweise, uns wieder zu schließen! Vermeiden Sie blinden Aktionismus. Die Folgen sind fatal. Mit den in Hessen geltenden Rahmenbedingungen ist eine Ansteckung während des Trainings nahezu ausgeschlossen.
Die positiven Effekte des Trainings hingegen sind vielfältig. Neben den Vorteilen für den gesamten Bewegungsapparat und das Herz-Kreislauf-System wirkt sich das Training auch positiv auf die Psyche und das Immunsystem aus. Das sollte doch gerade in Zeiten wie diesen von besonderer Bedeutung sein.
In der Hoffnung, Sie zum Nachdenken und Umdenken angeregt zu haben, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Jens Gewehr